Vernehmlassungsantwort – VÜPF ermöglicht Chatkontrolle in der Schweiz – Digitales Briefgeheimnis in Gefahr

Der Bund hat eine Teilrevision der Ausführungsverordnungen des BÜPF (Bundesgesetz über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs) in die Vernehmlassung gegeben.

Die Piratenpartei ist entsetzt über die darin enthaltene tiefgreifende Ausweitung der Überwachung in den Kernbereich der Privatsphäre aller.
Im erläuternden Bericht der Revision wird festgehalten, das Ziel dieser Revision sei «die Fermeldeüberwachung an die technologische Entwicklung anzupassen» (z.B. 5G) und die Überwachung auf gleichem Niveau zu halten.
Wir mussten feststellen, dass in über 16 Fällen die Überwachung deutlich ausgebaut wird. Darüberhinaus wird teilweise sogar auf eine Begründung der Ausweitung verzichtet.
In einem Fall, die Einfügung von Artikel 50 Abs. 7, greift sogar in den durch Art. 36 Abs. 4 BV [1] geschützten Kernbereich von Art. 13 BV [2] ein. Hier wird auf dem Verordnungsweg der Weg für eine Chatkontrolle freigemacht.

Ferner widersprechen die meisten Ausweitungen Art. 36 Abs. 1 BV [1].  Die Piratenpartei hat den Eindruck, dass der Bundesrat ein Referendum gegen diese massive Ausweitung der Überwachung fürchtet und deshalb den Verordnungsweg wählt und nicht den regulären Weg über ein Gesetz einschlägt. Wir fordern, dass der Bundesrat jegliche Ausweitungen streicht – oder wenigstens in einem referendumsfähigen Gesetz auf den Weg bringt.

Unser Hauptkritikpunkt an der Teilrevision des VÜPF ist die Einführung einer Chatkontrolle durch die Hintertür. Mit dem geplanten VÜPF kann jegliche private Kommunikation jeder einzelnen Person durchleuchtet werden. Uns erwartet die Spionagepflicht in den Kernbereich der Privatsphäre aller, welche durch BV Art. 13 geschützt ist und gemäss BV Art. 36 Abs. 4 unantastbar ist.

> Art. 50 Abs. 7 Jede FDA und jede AAKD mit weitergehenden Pflichten gemäss Artikel 22 oder 52 entfernt die von ihr oder für sie angebrachten Verschlüsselungen. Sie erfasst und entschlüsselt dafür den Fernmeldeverkehr der überwachten Person an geeigneten Punkten, damit die Überwachungsdaten ohne die vorgenannten Verschlüsselungen
geliefert werden.

(Anmerkung: FDA = Fernmeldedienstanbieter; AAKD = Anbieter abgeleiteter Kommunikationsdienste, z.B. Messenger)

Jorgo Ananiadis, Präsident der Piratenpartei Schweiz: „Solche neue Paragraphen sind ein Frontalangriff auf die Digitale Unversehrtheit aller. Mit dem Ausspionieren jeder Nachricht wird nun der Kern unserer Privatsphäre angegriffen. Das widerspricht eindeutig unserer Verfassung.“ 

Philippe Burger, Vizepräsident der Piratenpartei Schweiz: „Dass es Bundesrätin Karin-Keller Sutter nicht so genau mit der Wahrheit und Grund- und Menschenrechten nimmt, sollte jedem seit dem PMT [3] klar sein. Dass sie nun hier eine Verordnung missbraucht, um ein Referendum zu umgehen ist ein Skandal erster Güte!“

Für diese geplante Totalüberwachung bedarf es neuen Backdoors in Informatiksystemen oder den Apps auf Endgeräten. Neben den eigenen Strafverfolgungsbehörden und Nachrichtendiensten, können diese auch fremden Geheimdiensten und Kriminellen ermöglichen in Systeme einzudringen. Dies stellt eine grosse Gefahr für uns alle dar.

Philippe Burger: „Das digitale Briefgeheimnis ist damit nicht mehr gewährleistet. Wenn eine solche Backdoor existiert wird sie missbraucht werden. Wieso will Karin Keller-Suter das?“ 

Weitere Beispiele für die Ausweitung der Überwachung mit der Teilrevision VÜPF:

Präzise Positionsbestimmung
Der erläuternde Bericht hält fest, dass mit 5G neu eine Positionsbestimmung möglich sei. Diese Positionsbestimmung ist im Unterschied zur bisher angewandten Standortbestimmung „weitaus präziser“. Eine Begründung, weshalb eine solche Ausweitung notwendig ist, wird indes nicht geliefert. Nur weil eine genauere Positionsbestimmung mit 5G möglich ist, begründet dies nicht automatisch die Notwendigkeit der Neueinführung der Positionsbestimmung (=präziserer Aufenthaltsort des Ziels), respektive die Ausweitung der Überwachung, in  Art. 68 Abs. 1 lit. b und c und in Artikeln Art. 56a Abs. 2 (sofortige Positionsbestimmung), Art. 56b Abs. 2 (periodisch wiederkehrende Positionsbestimmung).
Die Überwachung des Fernmeldeverkehrs “ist ein schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte” [4] und deshalb muss dies nach Art. 36 Abs. 1 BV [1] im Gesetz selbst vorgesehen sein. Erneut widerspricht die im Vorschlag enthaltene Ausweitung der Überwachung auf Verordnungsebene der Bundesverfassung.

Potentielle umfassende Massenüberwachung
In Art. 38 VÜPF führt ebenfalls eine kleine Änderung zu einer potentiell umfassenden Massenüberwachung – „Teilnehmende“ wird nun der Plural verwendet. Als Konsequenz steht deshalb potentiell im Raum, dass FDAs in cgNAT-Datenbanken auch Ziel-IP-Adressen speichern. Daraus liesse sich in letzter Konsequenz das Surfverhalten der gesamten schweizerischen Bevölkerung nachvollziehen.

Jorgo Ananiadis, Präsident der Piratenpartei Schweiz: „Unter dem Vorwand von 5G werden die Massnahmen zur Überwachung massiv ausgeweitet. Chatkontrolle oder exakte Positionsbestimmung werden hier durch eine nicht referendumsfähige Verordnung eingeführt. Die Grundrechte aller Bürger werden mit Füssen getreten und der Bundesrat verstösst klar gegen unsere Verfassung.“

Adrian Lobsiger, der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB), hat in einer Stellungnahme zur geplanten VÜPF-Verordnung festgehalten, dass «das Hinzufügen eines zusätzlichen Schlüssels in eine verschlüsselte Kommunikation, einzig zum Zweck der Überwachung in einem Strafverfahren, als äusserst problematischen Eingriff in die Selbstbestimmung und das Geschäftsmodell der betroffenen Kommunikationsunternehmen sowie die verfassungsrechtlich geschützte Privatsphäre der Bevölkerung». Ein solcher Eingriff hätte zwangsläufig auch negative Auswirkungen auf die technische Sicherheit der betroffenen Kommunikationsdienste zum Nachteil aller Nutzerinnen und Nutzer, gibt der Schweizer Datenschützer zu bedenken. «Im weiteren Verlauf des Rechtssetzungsverfahrens wird sich der EDÖB gegen eine solche Regelung aussprechen und zudem eine Konkretisierung der Bestimmung und den dazugehörigen Erläuterungen verlangen.» [5]

Nachdem in den letzten Jahren die Kostenvergütung von Abfragen massiv gesenkt wurde, verlangt die Vorlage nun auch noch eine automatisierte Beantwortung (Art. 18 Abs. 2 VÜPF). In der Vergangenheit waren immer wieder Anfragen rechtlich nicht zulässig und konnten verweigert werden. Die Piratenpartei befürchtet, dass aufgrund dieser weiteren Vereinfachung sämtliche Hemmungen der Strafverfolgungsbehörden für Massenabfragen fallen, da nun auch keine Kontrolle mehr möglich sein wird.

Des Weiteren fordert die Piratenpartei auch noch, dass Journalisten von einer Identifikationspflicht ausgenommen werden. Gerade für investigative Journalisten kann Anonymität enorm wichtig sein.

Für die Piratenpartei stellt die vorgeschlagene Revision nicht nur eine erneute Erhöhung der Temperatur des Frosches im Wasserglas [6], sondern ist ein Frontalangriff auf die Grundrechte jeden einzelnen Bürgers das ihresgleichen sucht.

Die Vernehmlassung im Wortlaut

[1] https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/404/de#art_36
[2] https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/404/de#art_13
[3] https://www.piratenpartei.ch/2021/05/20/abstimmungsbeschwerde-der-piratenpartei-gegen-pmt/
[4]  https://www.li.admin.ch/sites/default/files/2021-08/upf_jahresbericht_inhalt_de_20-07.pdf
[5] https://www.watson.ch/digital/schweiz/528820964-schweizer-datenschuetzer-ist-gegen-aufweichung-der-verschluesselung
[6] https://www.youtube.com/watch?v=Diq6TAtSECg

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