Der Bund hat eine Teilrevision der Verordnung über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs in die Vernehmlassung gegeben, deren Eingabe Frist am Montag, 23. Mai endet. [1]
Die Piratenpartei ist entsetzt über die darin enthaltene tiefgreifende Ausweitung der Überwachung in den Kernbereich der Privatsphäre aller.
Viele Artikel verstossen nicht nur klar gegen Grund- und Menschenrechte, sondern auch gegen das Versprechen, dass mit der Revision nur eine Anpassung an die technologischen Neuerungen wie 5G erfolge und die Überwachung auf gleichem Niveau gehalten werde.
Unser Hauptkritikpunkt an der Teilrevision des VÜPF ist die Einführung einer Chatkontrolle durch die Hintertür. Mit dem geplanten VÜPF kann jegliche private Kommunikation jeder einzelnen Person durchleuchtet werden. Uns erwartet die Spionagepflicht in den Kernbereich der Privatsphäre aller, welche durch BV Art. 13 geschützt ist und gemäss BV Art. 36 Abs. 4 unantastbar ist.
Art. 50 Abs. 7
Jede FDA und jede AAKD mit weitergehenden Pflichten gemäss Artikel 22 oder 52 entfernt die von ihr oder für sie angebrachten Verschlüsselungen. Sie erfasst und entschlüsselt dafür den Fernmeldeverkehr der überwachten Person an geeigneten Punkten, damit die Überwachungsdaten ohne die vorgenannten Verschlüsselungen
geliefert werden.
(Anmerkung: FDA = Fernmeldedienstanbieter; AAKD = Anbieter abgeleiteter Kommunikationsdienste, z.B. Messenger)
Jorgo Ananiadis, Präsident der Piratenpartei Schweiz: „Solche neue Paragraphen sind ein Frontalangriff auf die Digitale Unversehrtheit aller. Mit dem Ausspionieren jeder Nachricht wird nun der Kern unserer Privatsphäre angegriffen. Das widerspricht eindeutig unserer Verfassung.“
Philippe Burger, Vizepräsident der Piratenpartei Schweiz: „Dass es Bundesrätin Karin-Keller Sutter nicht so genau mit der Wahrheit und Grund- und Menschenrechten nimmt, sollte jedem seit dem PMT [2] klar sein. Dass sie nun hier eine Verordnung missbraucht um ein Referendum zu umgehen ist ein Skandal erster Güte!“
Für diese geplante Totalüberwachung bedarf es neuen Backdoors in Informatiksystemen oder den Apps auf Endgeräten. Neben den eigenen Strafverfolgungsbehörden und Nachrichtendiensten, können diese auch fremden Geheimdiensten und Kriminellen ermöglichen in Systeme einzudringen. Dies stellt eine grosse Gefahr für uns alle dar.
Philippe Burger: „Das digitale Briefgeheimnis ist damit nicht mehr gewährleistet. Wenn eine solche Backdoor existiert wird sie missbraucht werden. Wieso will Karin Keller-Suter das?“
Weitere Beispiele für die Ausweitung der Überwachung mit der Teilrevision VÜPF:
Präzise Positionsbestimmung
Der erläuternde Bericht hält fest, dass mit 5G neu eine Positionsbestimmung möglich sei. Diese Positionsbestimmung ist im Unterschied zur bisher angewandten Standortbestimmung „weitaus präziser“. Eine Begründung, weshalb eine solche Ausweitung notwendig ist, wird indes nicht geliefert. Nur weil eine genauere Positionsbestimmung mit 5G möglich ist, begründet dies nicht automatisch die Notwendigkeit der Neueinführung der Positionsbestimmung (=präziserer Aufenthaltsort des Ziels), respektive die Ausweitung der Überwachung, in Art. 68 Abs. 1 lit. b und c und in Artikeln Art. 56a Abs. 2 (sofortige Positionsbestimmung), Art. 56b Abs. 2 (periodisch wiederkehrende Positionsbestimmung).
Die Überwachung des Fernmeldeverkehrs “ist ein schwerwiegender Eingriff in die Grundrechte” [3] und deshalb muss dies nach Art. 36 Abs. 1 BV [4] im Gesetz selbst vorgesehen sein. Erneut widerspricht die im Vorschlag enthaltene Ausweitung der Überwachung auf Verordnungsebene der Bundesverfassung.
Potentielle umfassende Massenüberwachung
In Art. 38 VÜPF führt ebenfalls eine kleine Änderung zu einer potentiell umfassenden Massenüberwachung – „Teilnehmende“ wird nun der Plural verwendet. Als Konsequenz steht deshalb potentiell im Raum, dass FDAs in cgNAT-Datenbanken auch Ziel-IP-Adressen speichern. Daraus liesse sich in letzter Konsequenz das Surfverhalten der gesamten schweizerischen Bevölkerung nachvollziehen.
Verpflichtung zur automatischen Bearbeitung von Anfragen
Nachdem in den letzten Jahren die Kostenvergütung von Abfragen massiv gesenkt wurde, verlangt die Vorlage nun auch noch eine automatisierte Beantwortung (Art. 18 Abs. 2 VÜPF). In der Vergangenheit waren immer wieder Anfragen rechtlich nicht zulässig und konnten verweigert werden. Die Piratenpartei befürchtet, dass aufgrund dieser weiteren Vereinfachung sämtliche Hemmungen der Strafverfolgungsbehörden für Massenabfragen fallen, da nun auch keine Kontrolle mehr möglich sein wird.
Jorgo Ananiadis, Präsident der Piratenpartei Schweiz: „Unter dem Vorwand von 5G werden die Massnahmen zur Überwachung massiv ausgeweitet. Chatkontrolle oder exakte Positionsbestimmung werden hier durch eine nicht referendumsfähige Verordnung eingeführt. Das entspricht weder der offiziellen Kommunikation noch gibt es dafür plausible oder legale Gründe. Die Grundrechte aller Bürger werden mit Füssen getreten und der Bundesrat verstösst wieder einmal klar gegen unsere Verfassung.“
Adrian Lobsiger, der Eidgenössische Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragte (EDÖB), hat in einer Stellungnahme zur geplanten EU-Chatkontrolle festgehalten, dass schwerste Grundrechtseingriffe wie die Chat-Überwachung aus verfassungsrechtlicher Sicht bedenklich seien und in der Schweiz auf jeden Fall einer formell-gesetzlichen Grundlage im Sinne eines referendumsunterworfenen Gesetzes bedürften. [5]
Für die Piratenpartei stellt die vorgeschlagene Revision nicht nur eine erneute Erhöhung der Temperatur des Frosches im Wasserglas [6], sondern ist ein Frontalangriff auf die Grundrechte jeden einzelnen Bürgers das ihresgleichen sucht.
[1] https://www.fedlex.admin.ch/de/consultation-procedures/ongoing#https://fedlex.data.admin.ch/eli/dl/proj/2021/96/cons_1
[2] https://www.piratenpartei.ch/2021/05/20/abstimmungsbeschwerde-der-piratenpartei-gegen-pmt/
[3] https://www.li.admin.ch/sites/default/files/2021-08/upf_jahresbericht_inhalt_de_20-07.pdf S.16
[4] https://www.fedlex.admin.ch/eli/cc/1999/404/de#art_36
[5] https://www.watson.ch/!517393392
[6] www.youtube.com/watch?v=Diq6TAtSECg
Unterstütze uns!
Du findest gut, was wir machen?
Bitte unterstütze unsere Arbeit mit Deiner Mitgliedschaft und/oder einer Spende.
Wir freuen wir uns über einen finanziellen Zustupf!
Mit dem QR-Code kannst du über TWINT spenden.
Zahlungsverbindung:
- Piratenpartei Schweiz, 3000 Bern
- Postfinance Konto: 60-307660-3
- IBAN: CH32 0900 0000 6030 7660 3
- BIC: POFICHBEXXX
- Bei Mitgliedschaftsbeiträgen gib dies bitte im Kommentar an.
Bitte beachte, dass laut Statuten Spenden von juristischen Personen oder Privatspenden über CHF 500 pro Rechnungsjahr zwecks Transparenz veröffentlicht werden.
Bei Fragen erreicht ihr den Schatzmeister unter finance@piratenpartei.ch